Spurensuche Menschen im Krieg
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RAF Bombenangriff auf Wuppertal, Absturz einer Lancaster in Mülheim

 

Abgeschossen, getötet, gefangen

Es war der 30. Mai 1943. An diesem Tag wurde der 504. Luftalarm in Mülheim ausgelöst. Er begann um 00.15 Uhr und wurde um 02.29 Uhr beendet. Der Kampf der englischen Bomber um das Ruhrgebiet war voll entbrannt. Neue Zielmethoden erlaubten den Bombern der RAF auch unter schlechten Wetterbedingungen eine genaue Bestimmung des Zielpunktes. Dadurch konnten auch einzelne Stadtteile, die bis dahin schwer zu treffen waren, bombardiert werden.
 

Absturz der Lancaster III, ED 996 GZ-J am 30.Mai 1943, Duisburgerstraße / Ecke Hansastraße. Foto Wilhelm Heun

 

Das neue Zielverfahren „Oboe“ arbeitet mit zwei Richtfunkstrahlen, die von England aus gesendet, sich über dem Zielpunkt treffen. Mit Oboe- Empfangsanlagen ausgerüstete schnelle zweimotorige Flugzeuge steuern diesen Kreuzungspunkt in großer Höhe an und setzen eine entsprechende Zielmarkierung, die die folgenden Bomber beim Endanflug ansteuern.

Diesmal lag der Zielpunkt über Barmen, einem Stadtteil von Wuppertal. 719 Flugzeuge starteten von verschiedenen englischen Flughäfen, um ihre Bomben auf diesen begrenzten Stadtteil zu werfen. In diesem engen Stadtteil entwickelte sich ein Feuersturm, dem etwa 3400 Menschen zum Opfer fielen. 5 Industriebetriebe, 211 industriell benutzte Gebäude und 60 % der Wohngebäude wurden zerstört.

Die Verteidiger der Stadt, Nachtjäger und Flak, schossen 31 Bomber ab. Fünf gingen aus anderen Gründen, meistens wegen Bruchlandungen bei ihrer Rückkehr in England verloren. 174 englische Soldaten wurden dabei getötet.

 

Eine der abgeschossenen viermotorigen Maschinen ist die Lancaster III, die mit einer Bombenlast von etwa 3300 Kilogramm am 29.5. um 23.09 Uhr in Wickenby, Mittelengland, startete. Sie gehörte zur 12. Squadron der 1.Group. Ihre Kennung ED 996 GZ-J. In ihrem Bombenraum befanden sich eine Sprengbombe zu 2000 kg, Fünfhundertsiebzig Brandbomben zu 2 kg, Achtundvierzig Brandbomben zu 24 kg und dreißig X-Brandbomben zu 2 kg.

 

Sie wurde mit 7 Mann Besatzung auf folgenden Positionen geflogen:

Kapitän F/L PC Goudge                    Bomben- und Frontschütze Sgt. R S Richmond

Flugingenieur Sgt. A E Graham        Navigator Sgt. J Gorton

Funker Sgt. V Wells                          Mitteoben- Schütze Sgt. N M Hatch

Heckschütze Sgt. J Hardman

 

Der Zielflug nach Wuppertal über Vlissingen, Antwerpen und Grevenbroich, verlief ohne Probleme. Nach dem Abwurf der Bomben über dem Ziel drehte die Maschine auf Südkurs und flog bis in die Nähe von Koblenz und setzte dort eine Positionsmeldung ab. Danach flog sie auf Westkurs weiter und meldete sich per Funk über Malmedy. Von dort aus drehte sie auf Westnordwestkurs Richtung englische Küste. In der Nähe von Brügge meldete sie sich zum letzten Mal.

 

Zu diesem Zeitpunkt war die ED996 280 Km von ihrer späteren Absturzstelle an der Hansastraße in Mülheim entfernt. Warum sie ihren Kurs Richtung England nicht fortsetzen konnte, ist nicht mehr zu klären. Die sicherste Annahme ist jedoch, dass sie von Nachtjägern angegriffen wurde und in östlicher Richtung abgedrängt und beschossen worden ist.

Die schweren Beschädigungen des Rumpfes lassen darauf schließen, dass sie zusätzlich von Flakgeschossen getroffen worden ist. Sie brach über Mülheim- Speldorf in niedriger Höhe auseinander und stürzte gegen 1.10 Uhr im Bereich Duisburgerstraße, Hansastraße ab.

 

Die Auswertung der Fotos der Wrackteile und die Lage der Aufschlagstellen der Wrackteile der ED 966 erlauben folgende Rekonstruktion des Abschusses und des daraus resultierenden Absturzes der Maschine.

Obwohl die Maschine von Nachtjägern beschossen und eine längere Strecke verfolgt wurde, muss sie während der gesamten Verfolgungszeit kampffähig und weitgehend intakt gewesen sein. Anderenfalls hätte der Pilot das Kommando zum Notabsprung der Besatzung früher gegeben.

Ein entscheidendes Flakgeschoss traf die ED 996 in den Rumpf, gleich hinter den Tragflächen, kurz vor dem oberen Flakstand. Dort befindet sich auch die notwendige Munition für den Schützen dieses Flakstandes. Die Durchlöcherung der Außenhaut des Rumpfes an dieser Stelle von innen nach außen zeigt, dass hier Munition im Inneren des Rumpfes explodiert sein könnte.

Durch den Flaktreffer und die Explosion der Munition in der Maschine war die Verbindung des Rumpfes mit dem Vorderteil des Flugzeuges schlagartig zerstört. Das Heckteil mit Höhen- und Seitenleitwerk und dem Rumpfmittelstück brach ab. Dieses Heckteil muss dann noch einmal kurz vor dem Aufprall auf den Boden, nahe beim Höhenleitwerk auseinandergebrochen sein.

 

Die Lancaster zerbrach in drei Teile, Heckteil mit Höhen- und Seitenleitwerk und hinterem Flakstand, Mittelteil mit dem oberem Flakstand und dem Vorderteil mit Tragflächen, Kabine und vorderem Flakstand.

Wo das Heckteil zu Boden kam, ist unbekannt. Es ist aber anzunehmen, dass die Absturzstelle nicht weit südlich der Duisburgerstraße gelegen hat.

Das Mittelteil stürzte auf die nördliche Dachseite des Hauses hinter der Schwanenapotheke Duisburgerstraße 258, durchschlug den Dachstuhl und zerbrach dabei in drei Stücke. Ein Bruchstück stürzte in den Garten des Hauses, die beiden anderen blieben auf dem Dachboden liegen.

Das Vorderteil kam nur etwa 100 m nördlich vom Mittelteil im Freigelände einer Gärtnerei zu Boden. Dieses schwere Hauptteil bohrte sich tief in den Boden, fing Feuer und beschädigte Einrichtungen der Gärtnerei. Die Tanks mit Flugbenzin befanden sich in diesem Teil und verursachten einen Brand, der von der Feuerschutzpolizei mittels Sand und Boden gelöscht wurde.

 

Die Opfer wurden nahe der Absturzstellen gefunden. Ein Toter hing am Haus Hansastraße 14 kopfüber mit den Füßen an der Dachrinne. Einer lag vor dem Haus Hansastraße 16. Ein Toter wurde auf der Duisburgerstraße gefunden. Außerdem war das Stöhnen eines Verwundeten vom Dach des Gemeindehauses an der Lutherstraße zu hören gewesen, das aber bald verstummte. Es ist anzunehmen, dass es sich bei diesen vier Toten um den Heckschützen Sgt. Hardman, und um den Flugingenieur Sgt. Graham, den Funker Sgt. Wells und den Frontschützen Sgt. Richmond handelte, die sich in der Kabine und im vorderen Flakstand der Maschine aufhielten und vor dem Aufprall herausgesprungen sind.

Bei der Bergung dieser Toten ereignete sich nach Angaben eines Zeugen ein abscheulicher Zwischenfall. Ein in angetrunkenem Zustand aus einer Gaststätte kommender Parteifunktionär trat mit Füßen auf einen der am Boden liegenden toten Soldaten ein, um seiner Wut freien Lauf zu lassen. Die umstehende Menschenmenge wurde zu Augenzeugen dieser unglaublichen Rohheit.

 

Der Pilot, Offizier Goudge, ist wahrscheinlich mit dem Hauptteil der Maschine abgestürzt und verbrannt. Sgt. Hatch ist sicher schon durch den Flaktreffer und die Explosion der Munition schwer verletzt worden und mit dem Mittelteil der Lancaster auf das Haus Duisburgerstraße 228 gestürzt. Die damalige Bewohnerin des Hauses, die sich im Erdgeschoss aufhielt, hatte nach dem Aufprall ein Stöhnen gehört und dem schwer verletzten Soldaten Wasser gereicht. Sie war wohl bei ihm, als er dann an seinen Verletzungen starb.

Bergungsmannschaften brachten die sechs getöteten Soldaten am 31.5 1944 zum Düsseldorfer Nordfriedhof. Dort wurden sie in einem Ehrengrabfeld nebeneinander bestattet.

 

Die Bestattungsdokumente des Friedhofes Düsseldorf Nord zeigen, dass sowohl Sgt. Hatch, als auch Offizier Goudge nicht identifiziert werden konnten. Ihre Identität wurde nach ihrer Exhumierung, im September 1946, durch englische Spezialisten festgestellt.

Die sechs Soldaten wurden auf den englischen Friedhof Reichswald Forest War Cemetery bei Xanten. umgebettet. Ihre Gräber tragen die Nummern 5E11, 5E12, 5E13, 5E14, 5E15 und 5E16. Im Gedenkbuch des Friedhofes stehen ihre persönlichen Daten, die Namen ihrer Eltern und ihre Herkunftsorte.

 

Der Navigator Sgt. Gorton, der den Absprung als einziger überlebte, ist in Kriegsgefangenschaft gekommen und wurde unter der Häftlingsnummer 148 in das Stalag 357 (Stammlager Kopernikus) in Torun, Polen gebracht. Über sein weiteres Schicksal ist nichts in Erfahrung zu bringen. Fast wäre Sgt. Gorton nach dem Absprung durch Anwohner gelyncht worden. Glücklicherweise wurde er aber durch die Familie Samatis beschützt und in ihr Haus in der Hundsbuschstraße gebracht. Er zeigte seinen Beschützern Bilder seiner Frau und seiner Kinder, denn niemand von ihnen verstand seine Sprache.

 

Ivor Philip Chester Goudge starb mit einundzwanzig Jahren. Ronald Stuart Richmond war zweiundzwanzig, Joseph Hardman einunddreißig und Albert Edward Graham dreiunddreißig Jahre, als sie Opfer des Krieges wurden. Wie alt Victor Wells wurde, ist nicht bekannt. Norman Morgan Hatch wurde nur 19 Jahre.

Glück im Unglück hatten die Anwohner nahe der Absturzstelle, von denen niemand schwerer verletzt oder getötet worden ist.

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